Evangelist Hans Werner Hartwig ist als Orgelbaumeister bei einer
renommierten Orgelbaufirma in Osnabrück tätig.
J. Brandhorst:
Der Beruf des Orgelbauers umfaßt Tätigkeiten in vielen verschiedenen handwerklichen und künstlerischen Bereichen...
H. W. Hartwig:
Die Ausbildung im Orgelbau umfaßt tatsächlich mehr Gebiete als jedes andere Handwerk: Ein Orgelbauer muß die Metall-, Holz- und I.ederverarbeitung beherrschen. Er benötigt Kenntnisse in der Mechanik, Elektrik und Statik, in der Akustik, Architektur und Musik. Und er muß sich mit EDV-Systemen auskennen, mit deren Hilfe heute die Planungszeichnungen einer Orgel gemacht werden. Ein guter Orgelbauer braucht also vielfältige Erfahrungen als Handwerker und künstlerische Ideen, um solide gearbeitete Instrumente herzustellen und instandzuhalten, die zudem klanglich und optisch schön gestaltet sind.
J. Brandhorst:
Wie solide eine Orgel gearbeitet ist, zeigt sich vor allem auch an der Lebensdauer.
H. W. Hartwig:
Ja genau. Jeder Orgelbauer gibt bei der Lieferung eines Instruments heute zunächst zehn Jahre Garantie auf seine Arbeit. Ich kenne aber über 300 Jahre alte Instrumente, die ohne größere äußeren Umbauten dank regelmäßiger Pflege noch störungsfrei ihren Dienst tun. Wir können bei der heutigen hohen Qualität des Orgelbaues davon ausgehen, daß jede Pfeifenorgel vielen Generationen Freude bereiten wird, eine sachgerechte Wartung vorausgesetzt.
J. Brandhorst:
Wie sollte die Wartung aussehen?
H. W. Hartwig:
Eine Orgel sollte etwa alle drei Jahre durchgesehen und gestimmt werden. Alle 15 bis 20 Jahre ist eine größere Wartung und Reinigung erforderlich.
J. Brandhorst:
Können Stimmarbeiten und kleinere Reparaturen bei Pfeifenorgeln von erfahrenen Organisten auch selbst durchgeführt werden?
H. W. Hartwig:
Ein ausgebildeter Organist, der von einem Orgelbauer eingehend in die notwendigen Handgriffe eingeführt wurde, kann beispielsweise Zungenregister nachstimmen oder kleinere Störungen, die gelegentlich auftreten, selbst beheben. Aber Vorsicht! Das Innere einer Orgel ist für jeden Laien tabu. Beim unvorsichtigen Herumklettern und Besichtigen ist in Orgeln schon oft großer Schaden angerichtet worden.
J. Brandhorst:
Gelegentlich klagen Gemeinden darüber, daß ihre Orgel häufiger verstimmt sei.
H. W. Hartwig:
Ein Problem, daß bei einem fachgerecht gebauten und richtig aufgestellten Instrument nicht auftauchen sollte. Treten Verstimmungen auf, so liegt das in der Regel nicht an der Orgel, sondern an der Art und Weise, wie in den Gemeinden geheizt und gelüftet wird. Mit der Lufttemperatur wird auch die Luftfeuchtigkeit beeinflußt. Mein Rat: Die Temperatur im Kirchenraum sollte niemals über 1,5 Grad pro Stunde verändert werden. Das bewahrt die Orgel vor Verstimmungen, aber auch vor Schäden an allen Holzteilen. Eine solche Heizpraxis ist für moderne steuerbare Heizungsanlagen kein Problem und schützt in den Kirchen neben der Orgel auch alle andere Gegenstände aus Holz zum Beispiel Altar, Bänke und Stühle vor Zerstörung.
J. Brandhorst:
Die Qualität einer Orgel wird von Laien oft an deren Größe, das heißt an der Zahl ihrer Register festgemacht. Wie groß sollte eine Orgel sein?
H. W. Hartwig:
Das ist in erster Linie von den Wünschen und finanziellen Mögliclikeiten des Auftraggebers, aber auch von den Aufgaben des Instruments und vom Raumangebot am Aufstellungsort abhängig. Ein kleines Orgelpositiv mit drei oder vier Registern ist durchaus in der Lage, größere Räume klanglich zu füllen, einen Chor beziehungsweise ein Orchester zu begleiten oder den Gemeindegesang in kleinen Kirchen zu führen. In Kirchen ab etwa 150 Sitzplätzen wird dann für die gottesdienstlichen Aufgaben eine Kleinorgel mit sechs oder sieben Registern benötigt, und große Räume brauchen entsprechend größere Instrumente. Zudem ist die Frage, welche Orgelliteratur auf einem Instrument spielbar sein soll, für die Größe und Disposition einer Orgel wichtig. Die Qualität einer Orgel zeigt sich am Klang, an der äußeren Gestaltung und an der handwerklich soliden Verarbeitung, also nicht an ihrer Größe.
J. Brandhorst:
Was macht für Sie - kurz gesagt - das Faszinierende an einer Pfeifenorgel aus?
H. W. Hartwig:
Der unnachahmliche Klang, die individuelle Gestaltung eines jeden Instruments, die Lebensdauer und nicht zuletzt die musikalische Motivation, die für die Spieler von einer Pfeifenorgel ausgeht.