Die Choral-Intonation und ihre Erweiterung zum schlichten Orgel-Choral
zusammengestellt von Mark Stephan Buhl und Frank Dehmel Quelle/Literaturhinweis:
E.-O. Göring: Improvisation leicht gemacht - Anleitung
zum gottesdienstlichen Orgelspiel (ISBN: 3-87537-139-9)
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Die Notenbeispiele stehen als Musikdatei
im Format Capella 2.2b
zur Verfügung.
ALLGEMEINES:
Die Choral-Intonation (Einleitung) hat die Aufgabe,
in die Melodie (cantus firmus / abgekürzt c. f.) einzuführen,
der Gemeinde den Beginn des Chorals anzuzeigen,
das Tempo festzulegen,
der Gemeinde den Anfangston anzugeben.
Um diese Aufgaben zu erfüllen, genügen meist schon 4 oder 8 Takte,
die sich auf jeden Fall an eine feste Form halten sollten, wie z.B. eine
der folgenden:
In der Melodie und dem Satz des Gesangbuches finden sich alle Elemente
als fertige Bausteine, die nur noch formell richtig zusammenzufügen
sind. Diese Formen lassen sich zu einem schlichten Orgelchoral erweitern.
Am Anhang folgen noch einige kurze Hinweise zur Figuartionstechnik
und Verzierungstechnik.
Form A: Einteilige Liedform
Diese aus dem Volkslied entwickelte Form der Instrumentalmusik besteht
aus einem Vordersatz und einem Nachsatz, die sich melodischergänzen,
von gleicher Länge sein und zusammen
eine Einheit bilden
, gleichsam wie Frage und Antwort zueinander stehen müssen. Der
Nachsatz muß in der Grundtonart (Tonika) enden, weil die Gemeinde
sonst nur schwer den Anfangston finden kann.
Wir bilden Vorder- und Nachsatz aus je einer Choralzeile, z.B. so:
Melodie der ersten Choralzeile,
Melodie einer weiteren Choralzeile,
ein 4- oder 3stimmiger Satz zu 1. und 2.
Tip: Damit die Einleitung sich besser vom nachfolgenden Choral abhebt,
kann man zunächst mit dem c.f. einstimmig beginnen und die übrigen
Stimmen in kurzen Abständen einsetzten lassen. Dabei sind verschiedene
Reihenfolgen denkbar (Sopran-Alt-Tenor-Baß oder Sopran-Baß-Alt-Tenor,
usw.)
Vorsicht!!: Bei der Auswahl der Reihenfolge ist zu beachten,
daß in der jeweils tiefsten Stimme auf betonter Zählzeit nicht
die Quinte des betreffenden Dreiklangs zu liegen kommt, da sonst
ein Quartsextakkord entsteht, dessen Instabilität meist störend
wirkt.
Notieren: Wenden wir diese Technik auf den ganzen Choral an, so erhalten
wir schon ein schlichtes Vorspiel in Form eines Orgel-Chorals.
Unter Kanon verstehet man die melodisch und rhythmisch unveränderte
Nachahmung (Imitation) eines musikalischen Themas (hier: des c.f.) in einer
anderen Stimme.
Nach diesem Prinzip bauen wir die Intonation folgendermaßen auf:
Die Melodie der ersten Choralzeile wird zunächst einstimmig
in der Tenorlage, also eine Oktave tiefer, gespielt,
danach die Melodie der ersten Choralzeile in der normalen Lage
(Sopranlage) mit der dazugehörigen Baßstimme des 4- oder 3stimmigen
Satzes,
als Abschluß wird die letzte Choralzeileim 4- oder 3stimmigen
Satz hinzugefügt. Wie bei Form A können hierbei die
Stimmen gleichzeitig oder nacheinander einsetzen.
Tip: Sollte der Übergang zu 2. und 3. nicht befriedigen, so
hilft es unter Umständen, eine weitere Choralzeile im 3stimmigen Satz
(Sopran, Alt und Baß) einzufügen. Von dieser Möglichkeit
kann grundsätzlich auch sonst Gebrauch gemacht werden! Daß
bei der Dreistimmigkeit durch den Fortfall der Tenorstimme gelegentlich
die Terz fehlt, ist zunächst nicht zu beachten. Wer solche leeren
Quinten jedoch vermeiden will, kann die Alt- oder Baßstimme so verändern,
daß immer ein vollständiger Dreiklang entsteht. Auf korrekte
Stimmführung (besonders im Baß) ist dabei natürlich zu
achten..
Vorsicht!!: In manchen Fällen wird sich auch vom letzten
Ton der ersten Choralzeile in der Tenorlage zur Baßstimme ein
Zwischenton oder eine Oktavversetzung als nützlich erweisen,
um einem Bruch von der Tenor- zur Baßlage vorzubeugen. Um den Takt
zu wahren, sind an den Nahtstellen kleine rhythmische Änderungen,
beispielsweise als Auftakt eine Viertelnote statt einer halben Note, durchaus
erlaubt.
Notieren: Auch diese Technik des Zusammenbauens kann auf den ganzen
Choral angewendet werden. Anstelle der 4stimmig abschließenden letzten
Choralzeile kann auch eine freie Kadenz gesetzt werden, zu deren rhythmischer
Gestaltung eine Choralzeile zugrunde gelegt werden sollte.
Form C: Freie Imitation
Für die Form einer Intonation mit den Mitteln der Imitation (Nachahmung)
wählen wir die sogenannte ,,freie Imitation", die uns mehr Freiheit
läßt als die strenge, der Kanon. Diese Form unterscheidet sich
von der vorhergehenden Form B dadurch, daß die Stimmeneinsätze
in kürzeren Abständen erfolgen.
Zunächst wählen wir ein Motiv (die kleinste musikalische
Einheit) aus der ersten Zeile der Choralmelodie (wird das Motiv aus den
Anfangstönen
der Melodie gebildet, sprechen wir vom Kopfmotiv). Dieses Kopfmotiv
wird nun von den anderen Stimmen auf verschiedenen Tonhöhen wörtlich
oder leicht abgeändert nachgeahmt.
Tip: Wer die wenigen Töne einer freien Fortführung
noch nicht finden kann, der halte sich auch hierbei an den Satz des Choralbuches.
Um den c.f. in der Oberstimme beizubehalten, wird am besten mit der Unterstimme
begonnen und nach dem Motiv die Baßstimme des Choralbuchsatzes aufgenommen,
wie bei Form B
Als Schluß fügen wir wieder die zweite oder letzte Choralzeile
nach dem Choralbuch an. Setzen wir dabei mit den Stimmen nacheinander ein,
wie bei Form A, wird eine Scheinimitation erzielt.
Vorsicht!!: Bei einer 3stimmigen Intonation erfolgen die Einsätze
auf der Tonika-Dominante-Tonika (Beispiel C2
und Beispiel C4). Beim dritten Einsatz im
Sopran halten wir uns wieder an den Satz des Choralsatzes, oder setzen
eine freie Kadenz, wie bei Form B.
Bei einer 4stimmigen Intonation erfolgen die Einsätze auf de Tonika-Subdominante-Dominante-Tonika
(Beispiel C3 und Beispiel
C6).
Notieren: Für die freie Fortführung einer Stimme bevorzugen
wir die Parallel- oder die Gegenbewegungzur Oberstimme.
Die Mittelstimme kann nach ihrer Imitation liegenbleiben.
Das Motiv muß aber nicht immer von allen Stimmen aufgenommen,
es kann auch als Sequenz (Folge) nur von einer Stimme durchgeführt
werden. Eine dreimalige Folge soll dabei nicht überschritten werden,
damit das Motiv nicht ,,totgeritten" wird.
Ob das Kopfmotiv nun mit dem Grundton, der Terz oder der Quinte des
Dreiklanges beginnt, in jedem Falle beginnen wir auf dem Grundton und lassen
die Wiederholung des Motivs im Terzabstand (Grundton-Terz-Quinte) oder
auch im Sekundabstand folgen.
Beim zweiten und dritten Motiveinsatz können die Unterstimmen
hinzutreten, dabei wenden wir wieder die Parallel- oder die Gegenbewegung
an. Soll diese Intonation erweitert werden, hängen wir eine weitere
Choralzeile nach dem Choralbuch an, wie es bereits an den vorhergehenden
Formen gezeigt wurde.
Eine musikalische Bereicherung und formale Erweiterung kann diese Intonation
durch die Vorimitation erfahren, wenn wir das Kopfmotiv in verkleinerter
Gestalt indem wir beispielsweise
die Noten um die Hälfte ihres Wertes verkürzen,
sequenzartig durchführen,
und die betreffende Choralzeile in ihrer ursprünglichen Form anfügen.
Tip: Bei der freien Fortführung der Unterstimmen wenden wir
wieder die Parallel- oder Gegenbewegung an, der Schluß kann wieder
nach dem Choralbuch gestaltet werden.
Notieren: Mit Hilfe der Imitationstechnik kann durchaus schon ein brauchbares
Choralvorspiel erarbeitet werden. Gegenbewegung und Parallelbewegung in
den Außenstimmen können uns dabei weithin unabhängig vom
Choralbuch machen.
Bei der Fughette handelt es sich um eine kleine Fuge. Das beherrschende
Element in der Fughette ist das Thema, das wir bei unserem Vorhaben
wieder aus der ersten Zeile eine Choralmelodie bilden wollen (Choral-Fughette).
In dieser kleinen Fugenform durchläuft das Thema alle Stimmen
nur
einmal, also haben wir in einer 2stimmigen Fuge zwei, in einer 3stimmigen
drei Themeneinsätze usw. Hat das Thema einmal alle Stimmen durchlaufen,
sprechen wir von einer Durchführung.
Unsere Fughette soll aus einer
Durchführung und
einem angefügten Schlußteil (Coda) bestehen.
Tip: Als Schlußteil verwenden wir wieder eine weitere (die
zweite oder letzte) Zeile einer Choralmelodie im 4- oder 3stimmigen Satz
nach dem Choralbuch. Man kann selbstverständlich den Schlußteil
auch frei gestalten.
Um alle Stimmen besser übersehen zu können, begnügen
wir uns mit einer 3stimmigen Fughette. Lassen wir die Stimmeneinsätze
in
der Folge Baß-Tenor-Sopran geschehen, so werden uns schwierigere
Stimmfortführungen erspart, da der Baß nach seinem Thema sofort
auf dem Orgelpunkt zur Ruhe kommt.
Notieren: Für die Durchführung wollen wir drei Punkte
beachten:
Die Aufstellung des Themas soll grundsätzlich auf der Tonika geschehen
(Begriff: lat. Dux = Führer),
die Beantwortung des Themas soll grundsätzlich auf der Dominante erfolgen
(Begriff: lat. Comes = Begleiter),
die reguläre Folge der Themeneinsätze geschieht im Wechsel von
Dux-Comes, bei drei Themeneinsätzen also: Dux-Comes-Dux.
Die formalen Bausteine sind:
erste Choralzeile als Thema auf der Tonika,
erste Choralzeile als Antwort auf der Dominante,
zweite oder letzte Choralzeile im Choralbuchsatz - oder eine freie Kadenz!
- als Schlußteil.
Vorsicht!!: Beim Übergang de Themas in die Dominant-Tonart
und ebenso bei der Rückführung der Antwort in die Tonika ist
eine kurze Modulation nötig. Zu diesem Zweck ändern wir die letzten
Töne des Themas etwas ab und führen es über die Terz (Leit-Ton)
oder/und über den Grundton der Dominante zur angestrebten Tonart.
Beginnt das Choral-Thema mit der Quinte, so empfiehlt sich für
die in den Kirchentonarten stehenden Choräle eine plagale, entlehnte
Beantwortung, d.h. die Antwort (Comes) beginnen wir nicht auf der 5., sondern
auf der 4. Stufe.
Ein durchaus brauchbares Choralvorspiel ergibt sich durch die Anwendung
dieses fugierten Stils auf den ganzen Choral. Wir wenden dabei folgendes
Muster an:
Choralzeile im 3stimmigen Fugato,
Choralzeile im Satz nach dem Choralbuch,
Choralzeile im 3stimmigen Fugato,
Choralzeile im Satz nach dem Choralbuch usw., jeweils nach Länge des
Chorals
Der Orgel-Choral durch Figuration des Choralbuchsatzes
Die Figurationstechnik
Unter Figurationstechnik verstehen wir die Belebung eines homophonen
Satzes durch eine sich gleichbleibende oder sich ändernde rhythmische
Bewegung. Diese Technik ist für die Improvisation von entscheidender
Bedeutung. Sie verleiht dem an sich starren Choralbuchsatz mehr Leben und
Fluß.
Bei der Begleitung des Gemeindegesanges darf die Figuration nicht so
weit getrieben werden, daß der c.f. überwuchert und seine beherrschende
Stellung eingeschränkt wird.
In diesem Rahmen möchte ich Ihnen die einfachsten Mittel auflisten,
um einen schlichten Orgel-Choral zu erarbeiten:
Tonwiederholungen und Oktavsprünge wahren die Bewegung, wenn keine
andere Möglichkeit bleibt.
Durchgänge sind harmoniefremde Zwischentöne auf unbetontem Taktteil.
Vorhalte sind harmoniefremde Nebentöne, die möglichst vorbereitet
werden sollen und auf schwerem Taktteil stehen. Hier der gewichtigste:
der Vorhalt vor der Terz eines Dreiklanges, er kann von oben und unten
erfolgen.
Wechselnoten sind harmoniefremde Nebentöne auf leichtem Taktteil.
Vorausnahme, es wird ein der nachfolgenden Harmonie zugehöriger Ton
vor den übrigen Tönen gebracht.
Umspielen, das Ausfüllen längerer Notenwerte durch Wechsel- oder
Vorhaltsnoten.
Verkürzen der Notenwerte und Stimmeneinsatz auf unbetontem Taktteil.
Akkordbrechung, eine oder mehrere Stimmen durchlaufen den Dreiklang.
Umkehrung des Dreiklanges, ein Wechsel von Grundstellung und Sextakkord
(Terzklang)
Funktionswechsel, mehrfache harmonische Deutung eines Melodietones,
Chromatik, Durchgänge mit Hilfe der Halbtonschritte.