Wer hätte das gedacht? In den europäischen Kirchen der
Neuapostolischen Kirche stehen über 560 Pfeifenorgeln! Für
eine vergleichsweise junge Kirche, die sich über den theologischen
und kulturellen Stellenwert von Orgeln und Orgelmusik erst seit
einigen Jahren Gedanken macht, sicher eine stattliche, auch überraschend
hohe Zahl.
Annette Conrad, die als Leiterin der Musikabteilung des Verlages
Friedrich Bischoff in Frankfurt seit längerem bemüht ist,
die musikalische Produktpalette durch zahlreiche Neuerscheinungen
von Büchern, Noten und Tonträgern aufzufrischen, hat mit
der umfangreichen Dokumentation "Orgel der Neuapostolischen
Kirche" ein hochwertiges Produkt platziert. Das großformatige
und durch Sonja Burk graphisch sehr aufwändig und ansprechend
gestaltete Buch setzt hinsichtlich Umfang, Aufmachung und Qualität
wirklich neue, positive Akzente.
Als Autor wurde der Musikwissenschaftler Dr. Jürgen Brandhorst
gewonnen, der durch seine Tätigkeit als Orgelsachverständiger
für die NAK-Süddeutschland die Orgellandschaft in der
Neuapostolischen Kirche im europäischen Raum gut kennt.
Das Buch gefällt durch seine klare Struktur: In einem ersten
Teil werden 70 ausgewählte Instrumente ausführlich in
Wort und Bild beschrieben. Der Autor war dabei nach seinen Worten
bemüht, "eine möglichst große Bandbreite zu
bieten nach geographischer Verteilung, Entstehungszeit, Aussehen
und Größe und nach ihren Schöpfern" (Zitat
Vorwort S. 6). Diese Dokumentation nimmt mit über 140 Seiten
den weitaus größten Teil des insgesamt 222 Seiten starken
Buches ein. Der Leser erfährt hier Ausführliches über
Kirchenraum, Geschichte und Besonderheiten des jeweiligen Instrumentes,
Disposition, oftmals sogar Details zu Materialien, Stimmung und
Winddruck. Die aufwändige Bebilderung vermittelt einen guten
Eindruck von den Kirchengebäuden, den Orgelwerken und gewährt
dem Betrachter oft auch den Blick ins Innere der Instrumente.
In einem zweiten Teil skizziert der Autor die Aufgaben der Orgel
als gottesdienstliches Instrument in der Neuapostolischen Kirche
und gibt einen statistischen Überblick über die Bautätigkeit
seit ca. 1900 sowie die Verteilung der regionalen Orgelbauaktivitäten
in den verschiedenen Gebietskirchen.
Ein wichtiger, für die Gesamtbewertung der Orgelbausituation
in der Neuapostolischen Kirche allerdings entscheidender Punkt,
findet jedoch leider nur vergleichsweise kurze und (auf Seite 155)
späte Erwähnung: Brandhorst setzt die Zahl von 563 Instrumenten
ins Verhältnis zu den etwa 4100 Neuapostolischen Kirchen und
kommt damit zu dem Schluss: "Nur jede siebte Gemeinde hat ein
Pfeifeninstrument, die anderen verfügen lediglich über
eine Imitation" (Zitat Seite 155). Die oftmals unselige musikalische
Situation in sechs Siebteln der Gemeinden findet somit zumindest
eine Erwähnung. Es bleibt daher zumindest an dieser Stelle
deutlich festzuhalten: Das Standardinstrument in der Neuapostolischen
Kirche ist - und bleibt wohl auch auf absehbare Zeit - die Elektronenorgel.
Ebenso kurz und vorsichtig fällt die Bemerkung über die
Epoche der so genannten Kombinationsorgel aus: Brandhorst kommentiert
treffend und knapp den fast nie gelungenen Versuch, in der Verbindung
von elektronischer Klangerzeugung und Pfeifen eine Symbiose zwischen
Original und Imitat zu schaffen und enthält sich - durchaus
klug und viel sagend - einer ausführlichen musikalisch-ästhetischen
Bewertung.
Ein reich bebildertes Kapitel mit 35 weiteren Instrumenten in verschiedenen
Bausituationen (Orgel auf Emporen, Orgel hinter oder seitlich des
Altars) sowie ein tabellarisches Inventar aller Instrumente, eine
Dispositionsübersicht und ein Glossar schließen das Buch
ab.
Fazit: Das Buch "Orgeln der Neuapostolischen Kirche"
ist ein informatives, erlesen formuliertes und in jeder Hinsicht
hochwertiges Produkt geworden, das in der Bibliothek von Orgel-Enthusiasten
einen Platz verdient hat. Wenn es mit dazu beitrüge, die Orgelbegeisterung
auch in die 3500 neuapostolischen Gemeinden zu tragen, die sich
bislang mit der elektronischen Imitation zufrieden geben müssen
und in deren Räumen noch nie ein echter Orgelton geklungen
hat, wäre dies doch schön!