Zum 300. Geburtstag des Liederdichters
Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700 - 1760)
Ein unangepaßter Mensch
In der Wohnung des jungen Grafen Zinzendorf gab es oftmals Versammlungen, an denen über 50 Leute teilnahmen. Sie hielten dort gemeinsam Hausandachten mit Gesang und Bibelbesprechungen. Diese Versammlungen (oder „Conventikel") wurden 1726 auf Betreiben der Kirche verboten, was die Teilnehmer aber nicht aufhalten konnte: Der Hausherr lud von nun an zu „Soireen" ein, die Gäste waren dieselben wie zuvor. Nun konnte niemand mehr etwas dagegen haben, dass während dieser „gesellschaftlichen" Veranstaltung beim Essen über Bibeltexte gesprochen und im Anschluß daran fromme Lieder gesungen wurden. Ein ökumenische und offene Gesprächskultur entwickelte sich.
Zinzendorf, am 26.5.1700 in Dresden geboren, stand zu dieser Zeit als junger Justizrat im Dienst des Staates. Am Dresdener Hof war er jedoch weniger beliebt, weil er gesellschaftliche Mißstände anprangerte - sowohl im offenen Wort als auch in der kritischen Zeitschrift „Dresdnischer Sokrates", die er anonym herausgab.
Die Entstehung von Herrnhut (1722)
Mit 22 Jahren heirateten er und die gleichaltrige Erdmute Dorothea Gräfin Reuß, die - so wie er - aus einem pietistischen Elternhaus kam. Zinzendorf strebte eine „Streiter-Ehe" an, eine Verbindung, bei der nicht das persönliche Glück der Eheleute, sondern der Einsatz für die Sache Christi im Vordergrund stehen sollte. Die Gräfin, die als sehr kluge und lebenstüchtige Frau galt, sollte alle wirtschaftlichen und finanziellen Aufgaben übernehmen. Sie verwaltete von nun an Berthelsdorf, Zinzendorfs Gut in der Oberlausitz (Sachsen).
Zinzendorf erfuhr noch im gleichen Jahr, dass in Mähren Christen verfolgt wurden, die den „Böhmischen Brüdern" angehören. Als einige Zeit später die ersten Flüchtlinge aus Mähren vor seiner Tür standen, nahm er sie auf Berthelsdorf auf, obwohl die eigene wirtschaftliche Lage bescheiden war.
Das Gut Berthelsdorf lag am sogenannten Hutberg. Der Hofmeister Georg Heitz schrieb nach Dresden: „Gott verschaffe, dass Eure Excellence an dem Berg, der Hutberg heisset, eine Stadt bauet, die nicht nur unter des Herrn Hut stehe, sondern alle Inwohner auf des Herrn Hut stehen." So entstand der Name Herrnhut für die kleine Siedlung, die in den folgenden Jahren ein Waisenhaus und eine Schule erhielt. Der Ort wuchs, da nicht nur Flüchtlinge, sondern Christen verschiedener Konfession aus ganz Deutschland sich zu dem Ort hingezogen fühlten. 1727 trennte sich der Graf vom Hof, zog nach Herrnhut und gründete dort die „Herrnhuter Brüdergemeine", die vieles von den „Böhmischen Brüdern" übernommen hat.
Singen und Gemeinschaft
Die Gemeinschaft der Christen war ein wichtiges Thema für ihn: „Die Theologie von der Gnade ist die Haupt-Ursache und Grund aller Einigkeit unter den Kindern und Knechten Gottes. Denn wenn sie in Meinungen ungleich sind, so trennet das nicht die Hertzen, so lange sie Jesum haben, sondern man lässt einem jeden seine bessern oder schlechtern Einsichten." Poetisch hat er diesen Gedanken schon früher ausgedrückt - in seinem 1725 verfassten Lied „Herz und Herz, vereint zusammen..." (GB 165), das heute noch (in bearbeiteter Form) im evangelischen sowie im neuapostolischen Gesangbuch enthalten ist.
Überhaupt nahm das gemeinschaftliche Singen einen wichtigen Platz in der Herrnhuter Brüdergemeine ein. Zinzendorf verstand das geistliche Singen als emotionale und gemeinschaftsbildende Glaubensäußerung. Diese Einstellung gegenüber der Musik zeigte sich ganz praktisch darin, dass bei den Herrnhutern Hunderte von Liedern entstanden, u.a.: „Jesu, geh voran" (GB 587) und „Wie dank ich´s, Jesu, deiner Liebe" (GB 265). Die schriftliche Sammlung dieser Lieder hatte bei Zinzendorf eine besondere Bedeutung: "Das Gesangbuch ist eine Art Antwort auf die Bibel, ein Echo und Fortsetzung. Aus der Bibel sieht man, wie Gott mit den Menschen redet, und aus dem Gesangbuch, wie die Menschen mit Gott reden."
Der Graf betonte immer das Verbindende, nicht das Trennende zwischen den Konfessionen, die er nur als unterschiedliche Seinsweisen der einen Kirche Christi ansah. Der gemeinsame Blick auf Jesus und sein Wort standen im Vordergrund - so auch im Lied „Herr, dein Wort, die edle Gabe" (CM 156). Er „gehörte als Reichsgraf zum höchsten europäischen Adel, als Christ und Bruder stellte er sich mit Bauern und Handwerkern auf eine Stufe. Er wollte die Standes- wie die Konfessionsgrenzen überwinden, er setzte sich ein für die Gleichstellung der Frauen in der Gemeine – gedankliche Anstöße, die in seiner Zeit revolutionär wirkten." (zitiert nach http://www.zinzendorf.de/Seiten/graf.html)
Habt ihr wohl im Anfang gedacht...
Es blieb nicht bei der kleinen Gemeinde in Herrnhut: Von der Gemeinschaft gingen bald Missionare in viele Länder aus. Mit der zunehmenden Bekanntschaft der Gemeine traten aber auch Widerstände auf, die dazu führten, dass Zinzendorf 1736 aus Sachsen ausgewiesen wurde. Daraufhin begann für Zinzendorf eine Zeit der Missionsreisen durch das Baltikum, Westindien und Nordamerika. Als er endlich zurückkehren durfte, beantragte er die Anerkennung der Gemeinschaft durch die Landeskirche. Diese Prüfung fiel positiv aus, so dass die Gemeinschaft in Sachsen als Teil der Evangelischen Kirche gelten durfte. Im Ausland dagegen dagegen war sie unter dem Namen „Moravian Church" (Mährische Kirche) eigenständig.
Zinzendorfs Frau, die sich unermüdlich für die Gemeine eingesetzt hatte und dafür von ihr geliebt und verehrt wurde, starb 1756. Ihr Ehemann würdigte sie auf dem Grabstein als „Fürstin Gottes unter uns". Er selber lebte noch vier Jahre auf Herrnhut, wo er einen Tag vor seinem Tod am 9. Mai 1756 rückblickend seine Brüder fragte: „Habt ihr wohl im Anfang gedacht, dass der Heiland so vieles tun würde?"
Quellen:
CM = Chorliederbuch. Liedersammlung für die Chöre der Neuapostolischen Kirche.(1994) Neuapostolische Kirche International (Hrsg.) Frankfurt a.M.: Verlag Friedrich Bischoff GmbH
EG =Evangelisches Gesangbuch. (1996) (S. 1629f) Evangelische Landeskirche in Württemberg (Hrsg.) Stuttgart: Gesangbuchverlag Stuttgart GmbH
GB = Neuapostolisches Gesangbuch (Notenausgabe). (o.J.) Apostelkollegium der Neuapostolischen Kirche (Hrsg.) Frankfurt a.M.: Verlag Friedrich Bischoff GmbH
Ober, H.(Hrsg.): Lieder, Dichter, Komponisten. Handbuch zur neuapostolischen Musikliteratur. (1999) Frankfurt a.M.: Verlag Friedrich Bischoff GmbH
Thielmann, W.: Streiter für das Lamm, in: Rheinischer Merkur, 20/2000